Vor 150 Jahren wurde Louis Pins geboren. 

Es war ein trauriger 50. Geburtstag für den Dülmener Viehhändler Louis Pins: Denn genau an diesem Tag, also am 4. Februar 1924, verstarb seine Ehefrau Fanny, geb. Bendix, im Alter von nur 45 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung. Da war wohl niemandem in seinem Umfeld nach feiern und gratulieren zumute. Und nun, genau 100 Jahre später? Auch den 150. Geburtstag von Louis mag man nicht direkt „feiern“. Wurde vor drei Jahren der 100. Geburtstag von Sophie Scholl „gefeiert“? Wird in fünf Jahren der 100. Geburtstag von Anne Frank „gefeiert“. Vielleicht sollte man eher sagen: Das Leben eines Menschen bzw. diesen Menschen selbst kann man – und sollte man – anlässlich eines „runden“ Geburtstages würdigen und mit Respekt in Erinnerung rufen. Denn wir wissen heute, wie belastend die letzten Lebensjahre (seit Ende Januar 1933) und erst recht die letzten Lebenstage (seit Anfang Juni 1939) für Louis Pins waren.

Aus diesen letzten Tagen, nämlich aus dem Verhörprotokoll der Hamburger Zollfahndung, stammen aus  seinem eigenen Munde ein paar schmale Hinweise zu seinem Leben: „Ich bin am 4.2.1874 geboren. Von meinem 6. bis zum 14. Lebensjahr besuchte ich die Schule (Volksschule), von da kam ich zu meinem Vater ins Geschäft (Viehgeschäft). Von meinem 17. Lebensjahr an war ich selbständig.“ Als selbständiger Viehhändler war Louis Pins durchaus erfolgreich und konnte ein gewisses Vermögen ansparen. Jahrzehnte später begründeten diese Rücklagen seine Hoffnung, mit seiner zweiten Ehefrau Jenny und Tochter Johanna seine Auswanderungspläne zu beschleunigen. Vergebens. Die Zollfahndung wurde auf ihn aufmerksam und belangte ihn wegen „Devisenvergehen“; er kam in Gestapohaft, wo er sich am 12. Juni 1939 das Leben nahm. Sein Grab befindet sich bis heute auf dem jüdischen Teil des Hamburger Friedhofs Ohlsdorf. – Da ist uns nicht zum „feiern“ zumute, Geburtstag hin oder her. 

Und doch: Wir sollten nicht vergessen, dass es für die allermeisten der ausgegrenzten, verfolgten und ermordeten deutschen Juden ja auch gute Zeiten gab, in denen sie fest im gesellschaftlichen Leben integriert und anerkannt waren. Umso unbegreiflicher war ja dann nach 1933, wie plötzlich (oder genauer: nach und nach) die öffentliche Stimmung sichgegen sie wendete. Auch die Familie Pins dürfte sich lange Zeit als etabliert empfunden und in Dülmen respektiert gewähnt haben, fälschlicherweise und viel zu lange – denn am Ende waren ihre Ausreisepläne eigentlich schon zu spät. Es grenzt an ein Wunder, dass Jenny und Johanna nach Louis‘ Tod noch nach Uruguay emigrieren konnten und im Februar 1941 Montevideo erreichten. Wenn schon nicht mit Blick auf Louis, so doch gegenüber seiner Frau und Tochter, möchte man sich aus ganzem Herzen wünschen, was eine andere Dülmener Jüdin einmal geäußert hat: Helga Becker-Leeser, die ebenfalls ihren Vater durch Suizid verlor und dann durch die Flucht ins Ausland überlebte, äußerte einmal in einem Gespräch gegenüber Schülerinnen und Schülern der Dülmener Hermann-Leeser-Schule: „Man muss auch mal über etwas hinwegleben können…“ Das meint wohl, dass ein Mensch – in diesem Falle: als  Angehöriger und Überlebender – irgendwann wieder zum Lebensmut zurückfindet, ja noch mehr: zur Lebensfreude! Wie gesagt: Das möchte man, das muss man sich doch wünschen – das dies schlussendlich so gewesen sein mag … Und dann würde „Gratulation“ vom lateinischen Wortstamm „gratia“ her passen: Gnade, Gunst, Dank.

Das Dülmener Stadtarchiv hat uns freundlicherweise die Sterbeurkunde der Fanny Pins, geb. Bendix (Stadt Dülmen, Nr.11/1924) vom 4. Februar 1924 >>> sowie einen Auszug aus dem Verzeichnis der Trauungen und Geburten jüdischer Glaubensangehöriger Dülmener aus den Jahren 1872 - 1920 (Stadt Dülmen, Bj 20) bzw. den Eintrag der Geburt von Louis Pins am 4. Februar 1874 >>> zur Verfügung gestellt. Dafür frohen Dank!