Auch die Dülmener Stadtbücherei hat die Biographie des am 28. Juli verstorbenen Schriftstellers Martin Walser (1927-2023) aus der Feder des gebürtigen Dülmeners Ralf Oldenburg in ihrem Bestand: „Wort-Gewänder: Eine Biographie in Szenen“, so lautet der Titel des 2003 erschienen Buches. „Walser hatte eine unglaubliche Schaffenskraft, bis ins hohe Alter hat er Werke veröffentlicht“, würdigt Florian Kübber, Vorsitzender von „ex Libris“, dem Förderverein der Stadtbücherei Dülmen. „Die Liebe zur Literatur und die Darstellung einer differenzierten, auch kritischen politischen Meinung verbindet mich in kleinen Stücken sicherlich mit dem Autor“, so Kübber.

Gleichwohl führte die „kritische politische Meinung“ zu einem beispiellosen Eklat, nämlich als Walser am 11. Oktober 1998  in der Frankfurter Paulskirche der „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ verliehen wurde und er daraufhin eine Dankrede hielt. Seine damaligen Ausführungen zum Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte lösten heftige Irritationen aus: So dürfe man „Auschwitz“ nicht als „Moralkeule“ gebrauchen; der Holocaust sei nicht geeignet, „um für gegenwärtige Zwecke instrumentalisiert zu werden“, auch wenn diese an sich gut seien. Während manche Kritiker durch diese Rede in Martin Walser den Wegbereiter eines intellektuellen Rechtspopulismus sahen, bemühte sich Walser, den Kontext zu erläutern: In einem Gastbeitrag für die WELT AM SONNTAG rd. 20 Jahre später bezeichnet er sein Verhalten bei und nach seiner umstrittenen Paulskirchenrede im Jahr 1998 als „Fehler“ und „menschliches Versagen“. Als er damals von der „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ sprach, habe er die deutschen Intellektuellen Günter Grass und Walter Jens und ihre Haltung zur deutschen Wiedervereinigung gemeint, ihre Namen aber nicht genannt und so das Missverständnis zugelassen, er spreche von jüdischen Organisationen. „Inzwischen kann ich nur noch bedauern, was ich da angerichtet habe durch das Nicht-Nennen der Instrumentalisierer“, schrieb Walser am 20. Mai 2018. „Und noch schlimmer: durch den Polemikskandal war ich so verkrampft und konnte die großmütige Geste zur Versöhnung von Ignaz Bubis im Dezember des Skandaljahres nicht annehmen. Das war von allen Fehlern, die mir passiert sind, der schlimmste. Und Fehler ist ein zu leeres Wort für das, was ich da geschehen ließ. Es war Versagen. Menschliches Versagen. Da bleibt nur bedauern, bedauern, bedauern.“

Sicherlich hätten die Zusammenhänge von vornherein besser verdeutlicht werden müssen, als Walser von der "Instrumentalisierung des Holocaust" sprach, findet Florian Kübber. Und in einem gewissen Sinne gebe es ja auch eine vernünftige „Instrumentalisierung“, eben gerade bei Themen wie der Aufarbeitung des Holocaust oder der Frage, wie die Erinnerung an das Geschehene wachgehalten werden könne. „Dazu braucht man die Bilder aus einem KZ und kann sich auch vor so Bildern nicht verstecken“, meint Kübber. „An der Rede wird aber für mich immer wieder bewusst, wie wichtig die Kommunikation ist“, resümiert Florian Kübber, „also dass der Sender und der Empfänger auf der gleichen Ebene kommunizieren und es nicht Interpretationsspielräume gibt, die dann divergent ausgelegt werden können.“

Der Germanist und freie Autor Ralf Oldenburg, der in Dülmen die Anna-Katharina-Emmerick-Grundschule und das Clemens-Brentano-Gymnasium besuchte, resümiert: „Walser gilt in Teilen der öffentlichen Meinung als Scharfmacher und Revisionist, als vielfach gebrochener Seelenergründer und Dichtergrübler, als politischer Querdenker und Bauernbub.“

 

Foto: Dülmener Zeitung