“It is so cold here…”

… das waren die letzten Worte von Isidor Davidson, Großvater von Prof. Dr. Hans Davidson. Isidor starb 1939 bei einem Motoradunfall in Zwolle (die DZ berichtete) und ist der Einzige der Familie, der dort auf dem jüdischen Friedhof beerdigt ist. „Die anderen Davidsons starben in Auschwitz,Sobibor, in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Dass ich heute Abend hier sein kann is a miracel, ein Wunder.“ Im vollbesetzten Saal des einsA zieht der emeritierte Medizinprofessor und profunde Holocaust-Experte Hans Davidson seine Zuhörer in den Bann. Eindrucksvoll kombiniert er private Fotos mit historischen Bildquellen und stellt den Zuhörern vor dem geschichtlichen Hintergrund der 20er bis 40er Jahre des 20 Jahrhunderts einzelne Familienmitglieder und deren Schicksal vor. Etwa Bahrend, der im Widerstand war, denunziert, verhaftet  und nach einem Scheinprozess in Berlin hingerichtet wird. In Auschwitz kommen seine Onkel Hermann und Walter ums Leben; Deportation, Selektion, Typhus, Vernichtung durch Arbeit, Ermordung durch Zyklon B – , auch die sechsjährige Femmystirbt hier. „Ich erzähle es, um zu verdeutlichen, dass nicht, wie oft gesagt wird, sechs Millionen Juden von den Nazis ermordet wurden, sondern weil sechs Millionen Mal ein einziger Jude ermordet wurde“, so Davidson. Und das Wunder? 

Ende September 1942: Mit 80 Zwollener Juden werden seine Eltern Zus und Dolf eingepfercht in die Sporthalle des Gymnasiums Celeanum. Sie sollen über Westerbork deportiert werden, „um im Osten in Industrie und Landwirtschaft zu arbeiten“, wie die Nazis ihnen Glauben machen. Die Zustände in der Halle sind schrecklich, Frauen und Kinder schlafen am Boden, es gibt nicht genügend sanitäre Einrichtungen, keine Verpflegung. Vater Dolf, gerade am Meniskus operiert, humpelt die Treppe hoch und wird von einem deutschen Soldaten gefragt, warum er hinkt. In perfektem Deutsch berichtet Dolf von seiner Operation, der Soldat hatte vor kurzem die gleiche. Da auch der Soldat an die Arbeitslager-Lüge glaubt, sagt er, Dolf könne nicht arbeiten, er brauche Physiotherapie und fordert ihn auf, schnell wegzugehen, bevor seine Vorgesetzen kämen. Ohne seine Frau wolle er nicht fort, sagt Dolf, und der Soldat entlässt sie beide gemeinsam. Im Versteck, das sich Wand an Wand mit der NSB-Zentrale (niederländische NSDAP) befindet, überleben die Eltern den Krieg.

Ein ebenso emotional-persönlicher wie historisch fundierter Vortrag, der die fast 70 Anwesenden, darunter etwa 20 Jugendliche, zutiefst beeindruckt hat, wie auch die Anschluss-Diskussion zeigte. „Meine Präsenz hier und die Art und Weise wie wir den Tag verbrachten und ich Ihnen und den Schülerinnen und Schülern meine Geschichte vermitteln durfte, war ein Geschenk für mich“, bedankt sich Professor Davidson.

Die mitgebrachten Fotos und Dokumente ergänzen das Wissen um das jüdische Leben in Dülmen. Seine Gespräche mit Jung und Alt sowie der eindrucksvolle Vortrag werden in Erinnerung bleiben.

Bericht: Dr. Andrea Peine