Vor 150 Jahren wurde Joseph Bendix geboren

Schon wieder ein 150. Geburtstag; wurde nicht erst unlängst des 150. Geburtstages des Dülmener Viehhändlers Louis Pins gedacht? Ja, in der Tat, die DZ erinnerte im Winter daran, dass am 4. Februar 1874 Louis Pins das Licht der Welt erblickte. Und am 1. September 1874 wurde Joseph Bendix geboren. Sicherlich kannten sich Louis und Joseph aus der jüdischen Gemeinde, aus der Schule – oder ganz allgemein als Kinder eines beschaulichen Landstädtchens, das im Jahr ihrer Geburt noch keine 4.000 Einwohner zählte. Während Louis Pins erst in jüngerer Zeit durch archäologische und archivalische Funde neu ins öffentliche Bewusstsein gelangte, ist das Leben von Joseph Bendix schon vor rd. zehn Jahren in der Schriftenreihe „Jüdische Miniaturen“ (Nr. 168) sowie in einem Wikipedia-Artikel gewürdigt worden. Und was für Dülmen wichtig ist: Sein Name ist in den Sockel des seit 1897 bestehenden Kriegerdenkmals unweit des Kinderwohnheims an der Lüdinghauser Straße eingemeißelt. Die Inschrift hat die NS-Zeit und die Kriegszerstörungen unbeschadet überstanden. Wie kam es zu dieser Würdigung?

Joseph Bendix, der wohl anfangs die jüdische Schule und dann die Rektoratsschule am Bült besuchte, legte 1893 in Münster die Abiturprüfungen ab. Anschließend studierte er in Hannover und Berlin Ingenieurwissenschaften. Nach Erlangung des Diploms ging er 1896/97 zum Militär in die Bayrische Armee, wo er als Leutnant der Reserve entlassen wurden – eine seltene Karriere für einen Juden in damaliger Zeit. 1903 wurde Joseph Bendix Regierungsbaumeister im Eisenbahnbaufach und begab sich noch im selben Jahr ins damalige „Deutsch-Südwest­afrika“, wo er am Bau einer Eisenbahnlinie mitwirken sollte. Als Anfang 1904 der Herero-Aufstand ausbrach, wurde der Reserve-Leutnant vor Ort in den Mili­tärdienst einberufen, um fortan mit einer „Kaiserlichen Schutztruppe“ den Aufstand im heutigen Namibia blutig niederzuschlagen. Am 13. März 1904 fanden Bendix und zahlreiche Kameraden in einem Hin­terhalt ein grausames Ende. Noch im September 1904 erfolgte die Anbringung des genannten Schriftzugs am Dülmener Kriegerdenkmal. 

Dieses Denkmal atmet eine Deutschland-Begeisterung jener Jahre, die uns heute so fremd und überheblich vorkommt. „Was wir erkämpft, das wollen wir behalten“, beginnt selbstbewusst eine Art Gebet. Ein jeder habe „auf seinem Posten“ seinen Beitrag zu leisten. Dass auch Joseph Bendix als Kolonialbeamter überaus nationalistische Empfindungen hegte, ist auf bizarre Weise wohl ein Hinweis auf ein hohes Maß an gesellschaftlicher Integration und Identifikation mit der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft. Seine Gesinnung brachte er etwa in Briefen aus Afrika ungeschminkt zum Ausdruck: „Die Neger hier sind überhaupt ein verlottertes Gesindel, sie lügen und stehlen. (...) Wenn sie nicht parieren, bekommen sie 25 übergezählt.“ Über den Krieg prahlte er gegenüber seiner Familie: „Ab und zu nehmen wir auch einige Herero gefangen, die dann an einem Baum in Karibib aufgehängt werden.“

Es entbehrt nicht einer tragischen Ironie, dass ein Angehöriger jener Volksgruppe, die im Zweiten Weltkrieg Op­fer eines beispiellosen Genozids wurde, rd. 40 Jahre zuvor selbst an Militäraktionen be­teiligt war, die heute ebenfalls als Völker­mord anerkannt sind. Von den sieben Brüdern des Joseph Bendix wurde Julius in Auschwitz ermordet. Albert emigrierte in die Niederlande und nahm sich dort nach dem Einmarsch der Wehrmacht das Leben. Auch Nichte Friederike, Tochter von Josephs Bruder Max, ging in die Niederlande und wurde von hier 1943 nach Sobibor deportiert; an sie erinnert in Dülmen ein Stolperstein. Von diesem Bendix-Stolperstein am Kreuzweg bis zur Bendix-Inschrift am Kriegerdenkmal an der Lüdinghauser Straße, vom Andenken an die Nichte zum Andenken an den Onkel sind es nur wenige Gehminuten – die aber gewissermaßen zwei monströse Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts miteinander verbinden …

Fotos: Dietmar Rabich