In der vergangenen Woche war ich mit Emmausreisen unter dem Titel „Krakau und zur 80-jährigen Befreiung Auschwitz“ in Krakau und Umgebung unterwegs. Unser geistlicher Reisebegleiter, Pfarrer Klemens Schneider, stellte die Reise zu Beginn unter folgendes Zitat von Richard von Weizsäcker:

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“

Hinter mir liegen eindrucksvolle und bewegende Tage – Tage voller Kontraste. Auf der einen Seite die lebendige, kulturell reiche Stadt Krakau mit ihrer langen Geschichte, auf der anderen Seite das erschütternde Gedenken an einem der dunkelsten Orte der Menschheitsgeschichte: dem ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz.

Besonders berührt hat mich eine kurze Andacht in einer Baracke von Birkenau. Nur wenige Stunden später feierten wir mit der Reisegruppe eine heilige Messe im hellen, modernen Kloster von Łagiewniki. Pfarrer Schneider griff diesen starken Gegensatz zwischen der Unbarmherzigkeit, der wir in Auschwitz-Birkenau begegneten, und dem Heiligtum der göttlichen Barmherzigkeit eindrücklich in seiner Predigt auf.

Bei der Führung durch das jüdische Viertel Kazimierz zeigte uns unsere Reiseleiterin Anja nicht nur die Synagogen und geschichtsträchtigen Gebäude, sondern auch einige Hinterhöfe und Hausfassaden – Drehorte aus Schindlers Liste. Am Abend sahen mein Mann und ich uns im Hotel den Film über einen Streamingdienst noch einmal an. Dabei wurde noch einmal mehr deutlich: Es handelt sich nicht um bloße Filmkulissen, sondern um reale Orte des Geschehens. Orte, die vom Grauen zeugen. Orte, an denen Verbrechen an der Menschheit begangen wurden.

Auschwitz-Birkenau kannte ich bisher nur aus Dokumentationen, Filmen und Fotobänden – doch dieser Ort lässt sich nicht aus der Distanz begreifen. Wer die Gedenkstätte besucht, wird auf eine Weise berührt, für die Worte kaum ausreichen. Berge von Kinderschuhen, Haaren, Koffern und Brillen zeugen vom Schicksal unzähliger Opfer. Und doch ist all das nur ein kleiner Ausschnitt der unfassbaren Realität, die sich hier abgespielt hat.

Bei allem äußeren Grauen, das sich in den Baracken, den Gaskammern und den Spuren der Opfer zeigt, stellt sich mir vor allem eine innere, drängende Frage: Wie konnte es geschehen, dass Menschen anderen Menschen dies antun konnten? Wie sehr muss man Gott aus dem eigenen Leben verdrängt haben, um jegliches Mitgefühl, jedes Gewissen, jede Menschlichkeit zu verlieren?

Es erschüttert mich zutiefst, dass die Täter offenbar keinerlei Skrupel, kein Unrechtsbewusstsein mehr hatten. Ohne eine höhere Orientierung, ohne die Achtung vor der Würde jedes Menschen, wird der Mensch selbst zur größten Bedrohung für die Menschheit.

Gerade an einem Ort wie Auschwitz-Birkenau wird mir bewusst, wie wichtig die Ausrichtung an einen Gott ist, der das Leben schützt und die Barmherzigkeit in den Mittelpunkt stellt. Der Mensch ist zu unvorstellbarem Bösen fähig, wenn er Gott aus seinem Leben verbannt – aber er ist auch zu unermesslichem Guten fähig, wenn er sich an Gottes Gebot der Nächstenliebe orientiert.

Während der Reise waren besonders Walter und Hermann Davidson aus Dülmen, die in Auschwitz ermordet wurden, in meinen Gedanken und Gebeten. Ihr Neffe Hans wird uns bald wieder in Dülmen besuchen. Die zeitliche Nähe zwischen der Fahrt nach Krakau und dem bevorstehenden Besuch des Ehepaars Davidson lässt mich nicht los. Sie macht mir noch einmal deutlich, wie wichtig es ist, die Erinnerung wachzuhalten und die Geschichten der Opfer nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Christiane Daldrup