Fünf Ziffern – und eine Spur ins Staatsarchiv
Neue Erkenntnisse zur Familie Pins.
Von einer „fiskalischen Ausplünderung“ ist heute in der historischen Fachliteratur die Rede, wenn die ab Mitte der 1930er einsetzenden finanziellen Auflagen und Repressalien gegen die deutschen Juden gemeint sind. Ab 1936 wurden Juden generell verdächtigt, potentielle Kapitalschmuggler zu sein. War man erst einmal erfasst, konnte man sich dem Prozess der wirtschaftlichen und finanziellen Auspressung nicht mehr entziehen – zumal es ohne Bedeutung war, ob die Auswanderungsabsicht tatsächlich vom Betroffenen geäußert worden war oder ob sie ihm nur unterstellt wurde. Guthaben wurden willkürlich beschlagnahmt, eingefroren oder abgewertet. Da blieb es nicht aus, dass sich auswanderungswillige Juden in ihrer Panik auch am Gesetz vorbei auf Bestechungen einließen, um ihre Emigration zu beschleunigen – so auch Louis Pins, der nach den Novemberpogromen von 1938 fast hektisch die Ausreise seiner Familie nach Südamerika vorantrieb.
In der umfangreichen Urteilsbegründung im Devisenprozess gegen den Hamburger Mitarbeiter des Generalkonsulats von Uruaguay (Heinrich Bockholdt) am 26. April 1940 findet auch der damals bereits verstorbene Louis Pins Erwähnung: „Der Pins hat damals am 12. 6. 1939 bei seiner Vernehmung durch die Zollfahndungsstelle angegeben, dass er bezüglich der beiden Hypotheken die Hypothekenbriefe, die über einen Wert von 10.300,- RM lauteten, im Besitz gehabt habe. Durch die Entschuldungsaktion hätten sie an Wert verloren.“ Louis Pins hatte in dem genannten Verhör wörtlich ausgesagt: „Ich habe die eine Hypothek angeboten für 2.050,- RM und konnte sie nicht loswerden, die von Schulze Empting, der Bauer ist in der Entschuldung. Der Wert ist 10.300,- RM.“
Diese fünf Ziffern erlaubten es Malte Igelbrink, Mitarbeiter beim Landesarchiv NRW in Münster, die näheren Hintergründe zu recherchieren. Im Landesarchiv liegen heute die historischen Grundbücher des Amtsgerichts Dülmen – nur gibt ein Grundbuch eigentlich nicht die Namen von Gläubigern preis. (Diese finden sind sich in den zugehörigen „Grundbuchakten“ bzw. in den „Hypothekenbriefen“.) Somit führte allein die erwähnte Summe (10.300,- RM) zum gesuchten Vorgang des Hypothekeneintrags und zur Identifizierung der damaligen Besitzer.
Bei dem von Louis Pins im Verhör erwähnten Namen „Schulze Empting“ handelt es sich um den Landwirt Josef Schulze Emtping in Rödder, im Dülmener Adressbuch von 1937 unter Buldern Nr. 135 geführt. Der Schulzenhof Empting ist seit dem 14. Jahrhundert belegt und gehörte ursprünglich zur Gutsherrschaft Sythen. Aus den „Geschichtlichen Mitteilungen über die Bauerschaft Rödder“ von Ludwig Bielefeld aus dem Jahr 1922 ergibt sich, dass der traditionsreiche Schulzenhof mit 59 Hektar einer der (mit Abstand) größten Hofstellen in Rödder war. – Der Hof steckte in den 1930er Jahren finanziell in der Klemme.
Die von Louis Pins genannte Hypothek über 10.300,- RM war am 10. März 1933 ins Grundbuch eingetragen worden. Schon im Vorjahr (nämlich am 23. Juli 1932) war eine Grundschuld von 12.680,- RM eingetragen worden, deren Gläubiger die (später nach Argentinien emigrierten) Gebrüder Max und Adolf Pins waren. Die Tatsache, dass gleich drei jüdische Gläubiger über Hypotheken auf einen alteingesessenen Schulzenhof verfügten, mag dem Klischee von den „jüdischen Bauernverderbern“ noch weitere Nahrung geliefert haben.