Ein altes textiles Schätzchen wird auf der Orgelbühne von St. Antonius in Merfeld aufbewahrt: eine Vortragefahne der „Marianischen Jungfrauenkongregation“ aus dem Jahr 1915. Das Bildmotiv auf der Schauseite der Fahne zeigt eine legendarische Szene, nach der Maria als Kind von ihren Eltern Joachim und Anna dem Tempelpriester von Jerusalem vorgestellt wird. Das früher in der katholischen Kirche bestehende Fest „Mariä Opferung“ oder „Darstellung Mariens im Tempel“ wurde mit der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils 1964 zum „Gedenktag Unserer Lieben Frau in Jerusalem“ (21. November) umgewidmet. Derursprüngliche Festinhalt bezog sich auf die im apokryphen Jakobusevangelium geschilderte Episode, nach der Maria von ihren Eltern für den Tempeldienst „dargebracht“ und symbolisch dem Hohenpriester überantwortet wurde. Die heutige Deutung nimmt den gedanklichen Bezug der „Wohnung“ Gottes auf dem Zionsberg (also dem Tempel mit der Bundeslade) zu der neuen „Wohnung“ des inkarnierten Jesus Christus „unter den Menschen“ auf. Demnach ist Maria etwa die „Lade des neuen Bundes“. Die Darstellung auf der Merfelder Kirchenfahne deutet im Hintergrund den „Tempelvorhang“ an, der nach neutestamentlicher Überlieferung in der Todesstunde Jesu am Kreuz zerriss (Mk 15,38): Der Blick auf das „Allerheiligste“ ist nicht länger nur dem Hohenpriester vorbehalten, sondern allen Menschen: „Dieser Mensch war Gottes Sohn“ (MK 15,39), bekennt der heidnische Hauptmann.

Fotos: Daniel Sommer