Hanna Pins im Poesiealbum
Hedwig Schulze Weddern staunte nicht schlecht, als sie sich vor kurzem wieder einmal in verschiedene historische Dokumente aus der traditionsreichen Hofgeschichte vertiefte und ein Poesiealbum ihrer Schwiegermutter (gleichen Vornamens) in die Hand nahm und durchblätterte. „Ich blieb bei dem Namen Hanna Pins hängen“, berichtet sie, „da ich im letzten Jahr an einer Führung zum Keller Pins in der Nähe der Viktorkirche teilgenommen habe.“ Plötzlich steht ihr eine damalige jüdische Jugendfreundin ihrer Schwiegermutter vor Augen, deren späteres Schicksal sie anrührt.
Vor über 100 Jahren kam das kleine Poesiealbum im schlichten schwarzen Einband auf den Hof Schulze Weddern: „Zur Erinnerung an die erste heilige Kommunion“, so lautet auf der ersten Seite die Widmung einer Familie Krieger vom 20. April 1918. Die Beschenkte war die damals elfjährige Hedwig (1907-1998), die fortan ihre Mitschülerinnen, Nachbarn oder Verwandte um einen Eintrag in das Büchlein bat. Insgesamt 32 Einträge kamen zwischen 1918 und 1934 zusammen. Allein 13 Seiten mit oft rührseligen Sprüchen wurden während eines Aufenthalts in einem Pensionat in Godesberg 1926 gestaltet. „Dies Album mög‘ ein stiller Garten werden, / darin eine Blume pflanze jede Hand, / die ich gedrückt, verehrt, geliebt auf Erden, / mit der ich einst der Jugend Kränze wand.“ So lesen wir in einem Beitrag vom 21. Juni 1926; und weiter: „Durchwandert dann mein Herz in spät’ren Tagen / den Flor von Rosen und Vergissmeinnicht, / wird es in seliger Erinnerung schlagen, / weil jedes Blatt von süßen Stunden spricht.“
Der Beitrag der knapp zwölfjährigen Hanna Pins (1906-1982), Tochter des jüdischen Viehhändlers Louis Pins und dessen Frau Fanny, spricht so gar nicht „von süßen Stunden“. Die Widmung, zwar in der Orthographie etwas unsicher, dafür mit festem Schwung zu Papier gebracht, lautet: „Das Leben – ein Kampf. Siege!“ Und darunter: „Dieses als Leitstern für dein ganzes Leben von Deiner Freundin Hanna Pins.“ Formuliert wurden die Zeilen am 28. April 1918, also wenige Tage nach der Erstkommunion von Hedwig. „Für ein Kind ist so eine Äußerung höchst untypisch“, findet Hannelore Schulze Weddern, die Enkelin der einstigen Poesiealbumbesitzerin. Was mag der Hintergrund dieser so ernsten, fast harten Worte sein, die Hanna Pins ihrer Freundin als „Leitstern“ empfahl? War der „Kampf“ eine Art Familienmentalität, von den Eltern Pins ihrer Tochter vermittelt? Oder schwebten die damals aktuellen Kriegsereignisse um die deutsche „Frühjahrsoffensive“ im Hintergrund? Waren es allgemein die Entbehrungen und Ängste während des Ersten Weltkriegs, die auch in einem Kind ihre Spuren hinterließen? Jedenfalls sollte rund 20 Jahre später das Leben für Hanna Pins tatsächlich ein Kampf ums Überleben werden: Im letzten Augenblick konnte sie Ende 1940 mit ihrer Stiefmutter Jenny nach Uruguay fliehen; ihr Vater Louis verstarb im Sommer 1939 in Gestapohaft.
Hanna Pins empfahl ihrer Freundin Hedwig Schulze Weddern die Maxime „Das Leben – ein Kampf. Siege!“ als einen „Leitstern für das ganze Leben“. Tatsächlich war die Angesprochene ein Mensch, die sich zielstrebig durchzusetzen verstand. „Meine Schwiegermutter wusste genau, was sie wollte“, erinnert sich die Schwiegertochter rückblickend.