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Archiv 2022

Ingrid Leeser

Im Alter von 90 Jahren starb am Mittwoch (21.12.) in Rotterdam das letzte in Dülmen geborene Mitglied der früheren jüdischen Gemeinde, Ingrid Leeser. Sie kam am 8. April 1932 als zweite Tochter des Dülmener Textilunternehmers Hermann Leeser und dessen Frau Rhea zur Welt. Nach dem Suizid ihres Vaters nach der Pogromnacht 1938 zog Ingrid Leeser mit ihrer Mutter und der vier Jahre älteren Schwestern Helga in die Niederlande, wo sie ab 1942 im Untergrund die deutsche Besatzung überlebte. Nach dem Krieg arbeitete Ingrid Leeser in einem Unternehmen, das Südfrüchte vertrieb. Sie war Mutter einer bereits verstorbenen Tochter und eines Sohnes. Im Unterschied zu ihrer Schwester Helga Becker-Leeser (1928-2018) blieb Ingrid über Jahrzehnte bewusst auf Distanz zu ihrer früheren Heimat und vermied strikt die Nähe zu Dülmen. Erst als 2015 die Bildergeschichte „Von allem etwas“ über die Familie Leeser vorgestellt wurde, besuchte Ingrid Leeser erstmals wieder Dülmen, 70 Jahre nach Kriegsende. Seitdem pflegte sie einen regen Kontakt zu verschiedenen Personen aus Dülmen. „Sie war eine tolle Gastgeberin und hervorragende Zeitzeugin, hat viele neue Aspekte zur Geschichte der Familie Leeser beigesteuert“, erinnert sich die Pädagogin Dr. Andrea Peine. „Ingrid war anders als Helga, die eher in sich gekehrt war, lebenslustig, robust und direkt, wenngleich stets unglaublich ‚vornehm‘.“

Foto von Ingrid Leeser: Dr. Andrea Peine
Foto von den Ingrid Leeser und Helga Becker-Leeser: Dülmener Zeitung, Markus Michalak

Mit einer besonderen Überraschung wurde in diesem Jahr der Dülmener Stadtrat in die Weihnachtsferien entlassen: Der Heimatverein Dülmen ließ allen Stadtverordneten und weiteren kommunalen Mandatsträgern die im Sommer erschienene Broschüre „Sie müssen machen, dass ich wegkomme“ über den Dülmener Viehhändler Louis Pins (1874-1939) zukommen. Das Anliegen dieser Weihnachtsgabe wird in einem Begleitschreiben >>> erläutert, das wir im vollem Umfang dokumentieren.

„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, so zitiert der Künstler Gunter Demnig den jüdischen Talmud. Er will mit seinen Stolpersteinen den Millionen von Menschen, die von den Nazis zu Nummern degradiert, verhaftet oder ermordet wurden, ihren Namen zurückgeben - und damit die Erinnerung an sie bewahren. Der WDR erinnert an die erste Verlegung von Stolpersteinen vor 30 Jahren, am 16. Dezember 1992 in Köln. 

Zum WDR-Beitrag >>>

Fotos: Gerda Küper

Stefan Drees

„Ein Traum ist mir erschienen, der mich bezaubert hat: Ich stand in Alt-Jerusalem, der auserwählten Stadt …“ Mit diesen gesungenen Worten, solistisch meisterhaft vorgetragen durch Stefan Drees, begann im Rahmen des diesjährigen Adventssingens am 11. Dezember in der Dülmener Viktorkirche ein eindringliches Chorstück. Die Rede ist von einer religiösen Ballade „Jerusalem“ für gemischte Chöre, die im 19. Jahrhundert in England entstand. Darin wird die alttestamentliche Sehnsucht nach der Heiligen Stadt mit der Heimatlosigkeit des jüdischen Volkes kontrastiert. Das Stück von „diesem schönen alten Traum“, vorgetragen am 3. Advent vom Dülmener Cantiamo-Chor, wurde von Stella Ottinger dirigiert und von Christoph Falley am Flügel begleitet.

Als Nachtquartier während der Herbergssuche wäre „Keller Pins“ im Augenblick mehr als ungünstig: So manch ein Passant bedauert es, dass an manchen Tagen eine Dunstglocke massiv die geneigten Scheibenflächen des Tetraeders beschlägt. Die Ursache: Da der Kellerabstieg noch immer nicht fachgerecht abgedeckt ist, konnte bislang noch nicht die richtige Durchlüftung bzw. Austrocknung des historischen Untergeschosses vorangetrieben werden. „Aber im Januar kann es losgehen“, berichtet Verwaltungsreferent Christoph Fehmer, „vorher ist eine Realisierung der Abdeckung schwierig“. Nach wie vor macht der Fachkräftemangel im Handwerk eine zügige Umsetzung des Projektes unmöglich. „Wenn aber die Austrocknung des archäologischen Fundes Gestalt annimmt“, ergänzt Pfarrer Markus Trautmann, „können weitere Maßnahmen wie die Restaurierung des historischen Mauerwerks oder die Installierung eines Lichtlaufbandes konzipiert werden“.

Papst

Papst Franziskus hat an die Ermordung von fast zwei Millionen Menschen, hauptsächlich jüdischer Herkunft, durch die so genannte „Operation Reinhardt" während des 2. Weltkriegs erinnert. „Möge die Erinnerung an dieses schreckliche Ereignis in uns allen den Vorsatz des Friedens und Einsatz für Frieden wecken. Und die Geschichte wiederholt sich, sie wiederholt sich. Wir sehen, was jetzt in der Ukraine passiert. Beten wir für Frieden", sagte das Kirchenoberhaupt am Mittwoch während seiner Generalaudienz, in seinen Grüßen an die polnischsprachigen Pilger. 

Foto Papst: Quirinale.it, Attribution, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=115828333
Foto: Ausstellung : Von Rakoon - Eigenes Werk, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=123521333

Neue Erkenntnis: Bei der Recherche und Würdigung der Schicksale von Dülmener Juden ging man bislang irrtümlich davon aus, dass Regina Bendix (geb. 1887 und seit 1928 mit ihren drei Kindern wohnhaft am Dülmener „Kreuzweg“) das Schicksal ihrer Tochter Friederike geteilt habe: Demnach sei sie mit ihr 1934 gemeinsam in die Niederlande geflohen und von dort 1942 in die Vernichtung deportiert worden. Diese Auskunft gibt etwa der „Stolperstein“  für Regina Bendix aus dem Jahr 2007. (Auch ein einschlägiger Meldebogen über Regina Bendix in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nennt als „death place“ fälschlicherweise Ausschwitz.) Jüngere Recherchen haben nun zweifelsfrei ergeben, dass Regina Bendix im Sommer 1936 zu einer Schwägerin nach Südlohn zog; dort war sie auch noch zur Volkszählung 1939 gemeldet. Auch wenn ihr die Deportation erspart blieb, so waren die kommenden Ereignisse ebenfalls tragisch: Sie erkrankte an Gebärmutterkrebs und starb schließlich am 12. April 1941 im Israelitischen Krankenhaus in Köln. Nach ihrer Grabstätte auf einem der drei jüdischen Friedhöfe in Köln wird zeitnah recherchiert.

Ganz offenkundig haben die nach Südafrika emigrierten Brüder Bernhard und Walter Bendix (und später deren Kinder) bis zu ihrem Tod in dem festen Glauben gelebt, dass ihre Mutter Regina Bendix an der Seite ihrer Tochter Friederike in den Niederlanden lebte und beide dann gemeinsam deportiert wurden. Noch grotesker: In einer Übersicht über die frühere jüdische Bevölkerung Dülmens für die Gedenkstätte Yad Vashem gab die Stadt Dülmen 1965 an, Regina Bendix wohne in Kapstadt …

Peter Pels

Erneut hat die DZ-Wochenendbeilage „Panorama“ einen spannenden Beitrag zur jüdischen Geschichte gebracht: In der Ausgabe vom 3. Dezember 2022 >>> schildert Annegret Schwegmann das Schicksal der Osnabrücker Familie van Pels. Hermann und Auguste van Pels sowie ihr Sohn Peter gehörten zu den Mitbewohnern von Anne Frank und ihrer Familie im „Achterhuis“ an der Prinsengracht in Amsterdam, wo sie sich 25 Monate vor dem Zugriff der Deutschen versteckten. Wenngleich Anne Frank in ihrem Tagebuch häufig über ihre Mitbewohner und zumal über Peter van Pels schreibt, ist die Herkunft und das weitere Schicksal der Familie van Pels lange Zeit unbekannt geblieben.

Foto Stolpersteine: Roland Mattern. Roland1952 at de.wikipedia - Eigenes Werk von Roland Mattern (Roland1952), CC BY-SA 3.0
Foto Peter van Pels: gemeinfrei

Stadtgang

Amtsgericht stellt Verfahren gegen Geldauflage ein.

Ein 60-jähriger Dülmener hat in seinem Status des Messenger-Dienstes „WhatsApp“ ein Foto von Adolf Hitler veröffentlicht, auf dem er seine „Führer-Uniform“ trägt und den rechten angewinkelten Arm zum Gruß erhebt.

Weiterhin war oberhalb des Bildes der Text zu lesen: „Gratulation liebe Bundesregierung. Deutsche Panzer auf sowjetischem Territorium im Krieg gegen Russland. Das hat vor euch nur noch einer geschafft.“ 

Wegen „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ musste sich der nicht vorbestrafte Mann nun einem Verfahren vor dem Amtsgericht Dülmen stellen. Dieses stellte das Verfahren gegen eine Geldauflage in Höhe von 1600 Euro ein. 800 Euro davon gehen an die Staatskasse, die restlichen 800 Euro an die Gedenkstätte für Opfer des Regimes der Nationalsozialisten.

 

Bericht der Dülmener Zeitung, Jürgen Primus
DZ Icon

Mit einer Eröffnungsveranstaltung startete am 30. November die Wanderausstellung „Riga. Deportationen – Tatorte – Erinnerungskulturen“ in der Bürgerhalle der Bezirksregierung Münster.

Eingeladen hatte der Volksbund gemeinsam mit dem Deutschen Riga-Komitee, dem auch die Stadt Dülmen seit 2014 angehört. Zu Beginn begrüßte Vizeregierungspräsident Dr. Ansgar Scheipers die Gäste mit einer kurzen Ansprache, in der er u. a. auf den 30. November 1941, dem sogenannten „Rigaer Blutsonntag“, einging.

Unter der Moderation von Stefan Querl (Leiter des Geschichtsortes Villa ten Hompel) diskutierten Arkadij Khaet (Regisseur des Films „Masel Tov Cocktail“), Mechthild Schulze Hessing (Bürgermeisterin der Stadt Borken) und Martin Mustroph (Pfarrer und Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster e.V.) miteinander zum Thema „Deportationen vergegenwärtigen: Warum – und wie heute?“

Die Gäste bekamen während der Diskussionsrunde auch einen Ausschnitt aus dem Film „Masel Tov Cocktail“ zu sehen. Die Szenen zeigten dabei das Dilemma auf, in dem sich Juden heute oftmals in Deutschland befinden. Als Jude in Deutschland lebe man im Dreieck „Holocaust – Antisemitismus – Israel“, so der jüdische Regisseur. Juden würden oftmals exotisch dargestellt bzw. gedacht: mit Schläfenlocken, Bart, tief religiös und Klezmermusik hörend, so Khaet weiter.

Pfarrer Mustroph sieht das Gedenkjahr „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ als gute Chance, das Judentum nicht nur vom Holocaust aus zu betrachten. Es sei wichtig, im Dialog zu stehen. Das bestätigte auch die Borkener Bürgermeisterin. „In der Erinnerungsarbeit ist es wichtig, einzelne Biographien zu verfolgen. Bei der Arbeit muss man sich den Lebenssituationen der nachkommenden Generationen stellen.“, so Schulze Hessing. Das übliche Format der Gedenkfeiern hole nach ihrer Erfahrung die jungen Menschen nicht mehr ab.

Im Anschluss an die Debatte wurde die Ausstellung eröffnet und zum Austausch eingeladen.

„Das war eine lebendige Diskussionsrunde“, resümierte die Besucherin Dr. Andrea Peine aus Dülmen, die sich schon seit etlichen Jahren als Pädagogin mit der jüdischen Geschichte in Deutschland beschäftigt. Sie könne den Standpunkt von Khaet gut nachvollziehen. Nachdenklich stimme sie seine Äußerung, dass eine große Sichtbarkeit des Judentums in der Vergangenheit nie zu etwas Gutem geführt habe. 

Der Film "Masel Tov Cocktail" ist auch in der 3sat-Mediathek >>> zu sehen.

Zu sehen ist die Ausstellung im Foyer des Hauptgebäudes der Bezirksregierung Münster, Domplatz 1-3, in Münster, in der Zeit vom 30. November 2022 bis Anfang Januar 2023.

Bücher

Auf jüdische Spuren
in der Stadtbücherei

„Im Übrigen, mein Sohn, lass dich warnen!“, so beendet der alttestamentliche Weise Kohelet das gleichnamige Werk: „Es nimmt kein Ende mit dem vielen Bücherschreiben, und viel Studieren ermüdet den Leib.“ (Koh 12,12) Gleichwohl erfreuen sich Buchläden und Büchereien nach wie vor großer Beliebtheit: Nicht zuletzt in Zeiten der Corona-Einschränkungen griffen viele Menschen verstärkt zu Büchern. Ein kleiner Rundgang durch die Dülmener Stadtbücherei nennt zehn hier vertretene jüdische Autorinnen und Autoren.

Mirjam Pressler

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Theo Schwedmann

Theo Schwedmann

Projektleiter a. D. Erziehung nach Auschwitz NRW

Erinnerung ohne Menschen und ohne Orte funktioniert nicht. Darum sind Zeitzeugen und Erinnerungsorte so wichtig.